Bis am 31. Dezember 2023 müssen Bauten, Anlagen und Fahrzeuge, die vor dem 1. Januar 2004 in Betrieb genommen wurden, baulich an die Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) angepasst werden. Ziel ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Menschen mit Behinderungen vom Gefühl befreit sind, von anderen Personen abhängig zu sein. Dieser Herausforderung stellen sich auch die Seilbahnunternehmen; mit dem Anspruch, alle Gäste zu transportieren.
Das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) und die dazugehörende Verordnung (BehiV) sind zwar seit bald 20 Jahren in Kraft. Für die Branche wird es höchste Zeit, die behindertengerechte Anpassung von Bauten, Anlagen und Fahrzeugen bis zum 31. Dezember 2023 zu realisieren. Für die Anpassungen der Kommunikationssysteme und der Billettausgaben lief die Frist bereits vor fast 10 Jahren ab: Bis zum 31. Dezember 2013 mussten diese barrierefrei ausgestaltet sein.
Unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen Luftseilbahnen, Standseilbahnen und Schrägaufzüge, sowie deren dazugehörenden Einrichtungen (Bauten, Anlagen, Kommunikationssysteme, Billettbezug). Bei den Luftseilbahnen fallen nur diejenigen Anlagen mit Fahrzeugen von mehr als acht Plätzen pro Transporteinheit darunter. Skilifte sind vom Anwendungsbereich des BehiG ausgenommen.
Das BehiG will, dass auch Menschen mit einer dauernden körperlichen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigung alltägliche Verrichtungen wahrnehmen können. Nebst Gehörlosen und Blinden sind auch Personen mit altersbedingter Einschränkung gemeint. Die Fortbewegung ist in einem breiteren Sinne zu verstehen: Dazu gehört - in vertretbarem Umfang - auch das Angebot am Berg. Es würde nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, wenn beispielsweise ein Rollstuhlfahrer mühelos auf den Berggipfel kommt, anschliessend im Panoramarestaurant allerdings keinen Kaffee trinken kann, da der Zugang zur Restaurantterrasse nicht behindertengerecht ausgestaltet ist.
Herausforderungen durch das Gesetz und Hilfestellungen
Die Anpassung stellt unter anderem für Betreiber von älteren Anlagen eine grosse Herausforderung dar, namentlich für diejenigen von historischen Bauten. Auch in finanzieller Hinsicht ist die Funktionsfähigkeit der existierenden Fahrzeuge einschneidender als die Gestaltung einer neuen Anlage.
Die Idee des Gesetzgebers ist es, dass mobilitätseingeschränkte Personen, die sich im übrigen barrierefreien Raum selbständig fortbewegen können, auch die Dienstleistungen der Seilbahnanlagen autonom beanspruchen können. Nur falls die Autonomie nicht durch technische Massnahmen gewährleistet werden kann, dürfen die Seilbahnbetreiber die erforderlichen Hilfestellungen durch den Einsatz von Personal erbringen. Die Idee ist, dass Menschen mit Beeinträchtigungen möglichst auf eine Voranmeldung verzichten können, um Anlagen zu benützen.
Um diese Herausforderung bestmöglich zu meistern, stehen den Seilbahnunternehmen diverse Checklisten und Wegleitungen zur Verfügung (siehe Downloads).
Vorgehen und Verhältnismässigkeit der Massnahmen
Die Beurteilung der Barrierefreiheit im Sinne des BehiG erfolgt durch den Seilbahnbetreiber anhand eines tabellarischen SBS-Hilfsmittels. Allfällige Abweichungen werden zusammen mit Angebot am Berg, Nutzung und Anlagemerkmalen dokumentiert. Es folgt eine mit dem BAV koordinierte Prüfung der Umsetzungsmassnahmen mit Identifizierung und Quantifizierung von Kosten und Nutzen. Anschliessend wird im Rahmen einer Interessenabwägung über eine allfällige Behebung der Abweichungen befunden oder Ersatzlösungen angeboten, falls solche verhältnismässig erscheinen. Es ist hervorzuheben, dass eine Beurteilung immer im konkreten Fall erfolgt.
Besonders massgebend für die Verhältnismässigkeit von Massnahmen sind massive Mehrkosten zu Lasten des Seilbahnunternehmens, die in einem Missverhältnis zum erwartenden Nutzen stehen. Insbesondere bei notwendigen Anpassungen aufgrund des BehiG, die unabhängig von einem geplanten Umbau oder Ersatzbau getätigt werden müssen, kann der finanzielle Aufwand sehr hoch werden. Bei der “Verhältnismässigkeit” der Massnahmen geht es darum, existenzbedrohende finanzielle Schäden für die SBU zu vermeiden.
Bestandesaufnahme mit DiDok
Am 1. November 2020 ist die Verordnung über die behindertengerechte Gestaltung des öffentlichen Verkehrs in Kraft getreten, die gestützt auf Art. 15 und 23 BehiG eine laufende Bestandesaufnahme bezüglich der Barrierefreiheit aller öV-Haltestellen (Bahnhöfe, Stationen und Haltestellen) der Schweiz verlangt. Die entsprechenden Unternehmen haben ihre Daten auf der Plattform Dienststellendokumentation öV-Schweiz (didok.ch) zu hinterlegen.
Folgen bei Nichteinhaltung der Anpassung gemäss den Vorgaben des BehiG
Die Anpassung an die Vorgaben des BehiG und die damit einhergehenden Umsetzungsfristen sind ernst zu nehmen: Klagen können unter anderem zu Entschädigungszahlungen wie auch zu Schwierigkeiten in Zusammenhang mit den entsprechenden Bewilligungen führen. Nicht zu vergessen sind auch der Aufwand und die Kosten zur Behebung der Mängel, zu welcher die Unternehmen verpflichtet sind.
Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem BehiG ist für die Seilbahnbetreiber unabdingbar. Die entsprechenden Hilfsmittel erweisen sich dabei als ungemein nützlich. Dennoch erscheint die Unterstützung eines Seilbahnherstellers, eines Architekten oder eines Planers mit Kenntnissen und Erfahrung im Bereich des BehiG bzw. eines Fachspezialisten (bspw. Sachverständiger BehiG) je nach Konstellation als prüfenswert.
Besonders wichtig ist die Dokumentation der Ergebnisse der entsprechenden Beurteilung, die bei Anfragen seitens der Aufsichtsbehörde oder im Rahmen eines juristischen Verfahrens dienlich sein kann.
Die Geschäftsstelle Bern SBS steht für weitere Informationen gerne zur Verfügung.