Als Experte für die Sicherheit von Schneesportanlagen schaut Romano Pajarola genau hin und weiss, welche Herausforderungen der Wunsch nach sicherem Wintersport mit sich bringt. Im Interview mit Barbara Gnägi, Projektleiterin Kommunikation, zeigt er auf, wie Unfälle auf und neben der Piste von allen Beteiligten reduziert werden können und erklärt, wieso ein Verletzungsrisiko immer mitfährt.
Unter seinen Skiern spürt er den Schnee und merkt, wie viel Arbeit die Pistenfahrzeugführer in der letzten Nacht investiert haben. Während seiner Abfahrt scannt er automatisch die Piste nach gefährlichen Stellen – Romano Pajarola ist seit über vier Jahren Verantwortlicher Beratungsstelle Sicherheit bei Seilbahnen Schweiz (SBS) und hat die Pisten quasi im Blut. Mit über 30 Jahren Erfahrung im Bereich Pisten- und Rettungsdienst kontrolliert und prüft er die Schweizer Skipisten und hilft auch bei der Aus- und Weiterbildung von Patrouilleuren mit.
Barbara: Romano, trotz diverser Bemühungen gibt es jedes Jahr unzählige Unfälle auf und neben den Pisten. Wo und wie passieren sie?
Romano: Die Beratungsstelle für Unfallverhütung, BFU, verwendet für ihre Auswertung des Unfallgeschehens in der Schweiz Daten aus der Unfalldatenbank von SBS und schätzt, dass sich pro Jahr etwa 65’000 bis 75’000 Ski- und Snowboardfahrer/-innen in Schweizer Wintersportgebieten verletzen und ärztlich behandelt werden müssen. Davon sind ca. 88 % der Unfälle Selbstunfälle auf Schneesportanlagen ohne Fremdeinwirkung, also wenn beispielsweise jemand die Skier überkreuzt, hinfällt und sich dabei verletzt. Kollisionen auf den Pisten machen nur etwa 6 % der Unfälle aus und die meisten dieser Unfälle passieren auf den roten oder blauen Pisten. Im freien Skigelände hingegen geschehen nur ca. 4 % der registrierten Unfälle.
Mit welchen Massnahmen kann man – egal ob Seilbahnunternehmen oder Wintersportler – Unfälle auf der Piste vermeiden?
Unfälle wird es im Schneesport leider immer geben. Grundsätzlich sollten die Wintersportler die Fahrgeschwindigkeit ihrem Können anpassen und eine gute körperliche Verfassung hilft bei der Vermeidung von Unfällen. Mit der Einhaltung der FIS Regeln sowie der Berücksichtigung der Präventionstipps der SUVA kann jeder Wintersportler das Unfallrisiko minimieren.
Durch Pistenqualität, Sicherungen, Signalisation und Markierung sowie weiteren Aspekten können die Seilbahnunternehmen auf Schneesportanlagen auch zu mehr Sicherheit beitragen. Unsere Mitglieder haben die Möglichkeit sich bei Fragen an unsere Experten der Beratungsstelle Sicherheit Schneesportanlagen zu wenden – auch wenn eine Nachkontrolle für das Sicherheitslabel “Geprüfte Pisten” erst später stattfindet.
Welche Herausforderungen müssen die Seilbahnunternehmen derzeit bewältigen?
Diesen Winter musste die Seilbahnunternehmen die Verkehrssicherungspflicht mit wenig Schnee umsetzen, das war im letzten Winter anders. Es geht ja darum, dass auf den Pisten ein einheitlicher Sicherheitsstandard gilt – egal in welcher Lage oder wie viel Schnee vorhanden ist. Wie findet man also den richtigen Weg, dass auch Gebiete mit weniger Schneesicherheit öffnen können, ohne grosse und zusätzliche Investitionen tätigen zu müssen? Hier stehen wir als Berater zur Seite und bringen Lösungsvorschläge, wie beispielsweise an bestimmten Stellen die Piste durch ein zusätzliches B-Netz zu sichern.
In diesem Winter weist das Saisonmonitoring bisher mehr Gäste aus als auch schon. Entsteht dadurch ein Druck, Pisten zu verbreitern, damit es genug Platz hat?
Die Pistenbreite ergibt sich meist aus dem Gelände und den Platzverhältnissen. Deswegen können die Pisten nicht beliebig verbreitert werden. Die Sicherheit der Gäste hat immer oberste Priorität.
Könnte es auch sein, dass sich die Gäste auf vollen Pisten unwohl fühlen und sich dann abseits der gesicherten Pisten bewegen? Wie schätzt du diese Situation ein?
Der Trend, abseits der Schneesportablagen zu fahren, ist in den letzten Jahren wirklich grösser geworden. Dass die Gäste ausweichen, kann ein Grund sein. Dass nicht mehr alle auf präparierten Pisten fahren möchten und neue Herausforderungen suchen, ein weiterer. Die Schneesportgeräte wurden die letzten Jahre für das Fahren im freien Gelände verbessert und ermöglicht nicht nur dem Könner das Fahren abseits der Pisten. Das Skitourengehen hat in den letzten Jahren stark zugenommen und Pisten werden vermehrt von Tourengängern für ihre Aufstiege genutzt. Das wird in den nächsten Jahren sicher noch zunehmen.
Leider gab es in den letzten Monaten oft Unfälle im Zusammenhang mit Lawinen neben den Pisten. Wer ist eigentlich zuständig für die Unfälle im freien Gelände?
Das Gelände abseits von Schneesportanlagen ist freies Schneesportgelände, es ist weder markiert, noch gegen alpine Gefahren wie Lawinen oder Absturz gesichert. Im freien Gelände ausserhalb der angelegten Schneesportanlagen bewegen sich die Schneesportler ausschliesslich auf eigenes Risiko. Die Schneesportler müssen sich bewusst sein, dass auch die sorgfältigste Beurteilung der Lawinengefahr und die gestützt darauf getroffenen Massnahmen keinen absoluten Schutz vor Lawinen gewährleisten.
Teilweise wurden Lawinen durch Schneesportler ausgelöst. Gibt es dafür eine Erklärung?
Auffällig ist in diesem Winter, dass am ersten schönen Tag nach grösseren Schneefällen - sogar bei der Lawinengefahrenstufe 4 (gross) - sehr offensiv gefahren wird. Das heisst, es werden sehr steile Hänge bereits am ersten Tag nach dem Schneefall befahren, obschon genau in Bezug auf die Steilheit und Exposition im Lawinenbulletin davor gewarnt wird. Dieses Verhalten wurde mir ebenfalls von diversen Rettungschefs bestätigt. Vielleicht ist das Verhalten darauf zurückzuführen, dass es diesen Winter weniger geschneit hat und es bis jetzt nur wenige “Powder Tage” gab? Diese Entwicklung ist gefährlich und macht mich schon nachdenklich.
Und nun noch ein kleiner Rückblick, da wir uns aktuell in einer sogenannten Endemie befinden. In den letzten Wintern hatte es etwas weniger Leute auf den Pisten, gab es deswegen auch weniger Unfälle?
Ja, aber dabei ist eben die Relation zu berücksichtigen: je weniger Leute auf den Pisten, desto weniger Unfälle - oder umgekehrt. Das Risiko ist seit mehreren Jahren ungefähr gleich hoch auf der Piste einen Unfall zu haben. Je mehr schöne Tage wir in einer Saison verzeichnen, desto mehr Gäste sind auf den Pisten unterwegs und desto mehr Unfälle geschehen.
Kontakt
Romano Pajarola, Leiter Beratungsstelle Sicherheit Schneesportanlagen, Tel. +41 31 350 43 51, romano.pajarola@seilbahnen.org