Als Teil des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler wird im Chäserrugg Gebiet die Naturbelassenheit in hohem Grad berücksichtigt und dient der Toggenburg Bergbahnen AG als Leitplanke der Strategie. Wie eine wirtschaftliche Entwicklung zum nachhaltigen Ganzjahrestourismus im Chäserrugg Gebiet trotzdem möglich ist, erläutert Ruedi Bösch, CEO der Toggenburg Bergbahnen, im Interview.
SBS: Bereits 2021 betrug der Personenverkehrsertrag im Sommer bei den Toggenburg Bergbahnen 40% der Einnahmen. Wie war der Weg dorthin und wie hat er sich seither entwickelt?
Ruedi Bösch: Seit es die Toggenburg Bergbahnen AG (TBB) gibt, entwickelt die Unternehmung das Chäserrugg Gebiet stetig weiter. Diese Weiterentwicklung gestalten wir so, dass der Fortschritt langfristig und wirtschaftlich zur regionalen Dynamik passt. So fusionierte die TBB 2008 die beiden grösseren traditionellen Bergbahngesellschaften in Alt St. Johann und Unterwasser und auch in den folgenden Jahren kamen weitere Liftanlagen dazu. Verschiedene Gastronomiebetriebe sind ebenfalls zur TBB dazugestossen.
2011 wurde im Rahmen einer Studie mit Herzog & de Meuron untersucht, wie das Gebiet verantwortungsvoll weiterentwickelt werden kann. Die Studie bestätigte dabei die eigene Intuition, dass ein Wechsel vom weitverbreiteten frequenzbasierten Skitourismus zu einem Ganzjahrestourismus mit wetterunabhängigen Angeboten sinnvoll ist.
Wie sieht die Strategie für die Ausrichtung mit Sommer- vs. Winteraktivitäten aus?
Mit der Strategie des ganzjährigen Tourismus im Chäserrugg Gebiet verschwimmen die Grenzen der Saisons insofern, als dass der Gast nicht mehr in getrennten Saisons denkt. Das Frühlingsskifahren ist dafür ein gutes Beispiel: Während auf dem Gipfel die Gäste Skifahren, machen sie auf dem Nachhauseweg noch einen Schwumm im Freibad bei der Talstation. Und im November, wenn früher Zwischensaison und das Gebiet bei jedem Wetter geschlossen war, entscheiden wir heute donnerstags, ob wir am Wochenende einen Betrieb anbieten. Folglich steht das Gästebedürfnis im Zentrum des Handelns. Diese Flexibilität wird von den Gästen sehr geschätzt.
Unter den neun Seilbahnen, welche die TBB betreibt, befindet sich auch die Standseilbahn, welche Unterwasser und Iltios verbindet. Beim aktuell laufenden Projekt Unterwasser wird die Talstation umgebaut und die Standseilbahn erneuert. Bereits im kommenden Winter soll der Betrieb aufgenommen werden. Mit welchen Herausforderungen wurde das Projektteam überrascht und wie wurden diese überwunden?
Das Projekt Bahnhof Unterwasser berührt den Kern und den Ursprung des Tourismus im Toggenburg und verlangt von uns somit die grösste Sorgfalt. Der Mut und die Weitsicht von unseren Vorgängern aus den 30er Jahren sollen uns eine Inspiration sein.
Wir haben bewusst an einer Standseilbahn festgehalten, weil wir den urbanen Charakter der Anlage interessant finden. Unsere alte Talstation wurde im Lauf der Jahre so verstellt, dass wir nun die Chance haben, sie neu zu konzipieren. Dabei wird der Bahnhofcharakter des Ortes unterstrichen: ein Ort des Ankommens und Gehens, des Weiterreisens, auch ein Ort, wo Einheimische und Besucher:innen sich treffen.
Dass es bei diesem Projekt auch Herausforderungen gibt, ist klar: Die Koordination des Bahn- und Bahnhofbaus, Anpassungen der Bergstation, der laufende Betrieb, der Wunsch nach Funktionalität und ästhetische Ansprüche. Dank einem guten Austausch zwischen allen Beteiligten wie Steurer Seilbahnen, Herzog & de Meuron mit Studio Noun, Bauingenieuren wie CWZ und Pirmin Jung, Holzbauer und vielen Handwerker-Firmen aus der Region ist es bis anhin möglich, den Zeitplan zu halten, und solch einen Ort zu schaffen. Wir sind dankbar dafür!
Die Bergwelt der Churfirsten ist Teil des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN). Wie hat dies die Positionierung der Toggenburg Bergbahnen beeinflusst?
Die Natur im Toggenburg ist unglaublich schön, nicht beengend, die Kulturlandschaft ist Zeuge und Verpflichtung zu gleich. Was als Klischee tönen mag, wird für die TBB eine Leitplanke der Strategie: wie kann diese geschützte Landschaft mit alle ihren Komponenten und ihrem hohen Grad an Naturbelassenheit zum Leben im Toggenburg beitragen, ohne dass sie beschädigt wird? Somit birgt das BLN-Gebiet eine spannende Herausforderung und zwingt die TBB zu kompromissloser Qualität in der nachhaltigen Entwicklung.
Der Chäserrugg ist der Einzige der sieben Churfirsten-Gipfel, der erschlossen ist. Diese natürliche Ruhe auch mit einem touristischen Angebot zu erhalten, ist ein Grundpfeiler der Positionierung. Der Gast kann hier Entspannung finden durch ein ungestörtes Naturerlebnis. Dies wird durch einen Verzicht auf Werbetafeln und entbehrliche Infrastruktur unterstrichen. Das Naturerlebnis tritt in Resonanz zur vielfältigen Alpkultur, die authentisch ohne Inszenierung in der Region gelebt wird. Somit birgt das BLN-Gebiet eine spannende Herausforderung.
2021 wurde die Tourismusinfrastruktur-Landschaft Chäserrugg/Toggenburg mit dem Preis «Landschaft des Jahres» von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz ausgezeichnet. Welche Vorteile konnten Sie daraus ziehen?
Die Verleihung des Preises hat uns natürlich unglaublich gefreut und potenzielle Gäste wurden auf unsere Art des sanften Tourismus aufmerksam, welche wir bis anhin kommunikativ noch nicht erreicht hatten. Gleichzeitig entstand für zukünftige Projekte eine hohe Erwartung an nachhaltiges Handeln.
Der Preis hat auch einen spannenden und bis heute anhaltenden Austausch mit der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz angeregt. Dieser Austausch und der damit verbundene Diskurs um Nachhaltigkeit hat positiven Einfluss auf die Projekte und ist Inspiration für die Weiterentwicklung eines sanften, kultur- und naturnahen Tourismus.
Woran kann der Gast diese Nachhaltigkeit erkennen?
Die Nachhaltigkeit im Chäserrugg Gebiet ist vielfältig und sowohl ökologisch, sozial und ökonomisch. Liest der Gast die Speisekarte, entdeckt er viele Produkte aus dem Tal und der Region. Auf dem Themenweg «Landschaft des Jahres» zwischen dem Iltios und dem Chäserrugg erfährt der Gast wie dieser sanfte Tourismus in den verschiedenen Bereichen Natur & Landschaft, Brauchtum & Tradition, Baukultur & Architektur und Genuss & Gastronomie mit spezifischen Massnahmen umgesetzt wird. Gleichzeitig führt der Weg an der Infrastruktur der Architekten Herzog & de Meuron entlang. Bei Führungen im Gipfelgebäude kann der Gast noch vertiefter erfahren, wie nachhaltiges Bauen am Chäserrugg realisiert wurde und warum der Tourist hier zum Menschen wird.
Weiter ist ab dem kommenden Winter die Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln noch attraktiver, da sich die TBB gemeinsam mit der Gemeinde darum bemüht hat, dass das Postauto direkt an der neuen Talstation halten wird. So steigt der Gast zukünftig vor dem neuen Gebäude aus und kann mit wenigen Schritten in die Standseilbahn einsteigen.
Mit der Klassifizierung «Swisstainable >>> leading» im Nachhaltigkeitsprogramm von Schweiz Tourismus und der ISO-Zertifizierung 14001 hat der Gast auch die Gewissheit, dass der Nachhaltigkeit wirklich Rechnung getragen wird.
Bei welchen Projekten wurde der Aspekt der Nachhaltigkeit bisher berücksichtigt? Und welche Projekte sind noch in der Pipeline?
Seit 2011 entwickeln wir mit Herzog & de Meuron das Chäserrugg Gebiet weiter. So hat man die Bauten, die erneuerungsbedürftig waren, evaluiert und erneuert mit dem Ziel, den Fokus vom «reinen Frequenzdenken» zum Gästebedürfnis zu verschieben und der Nachhaltigkeit Rechnung zu tragen. Seit 2015 wurden gemeinsam mit Herzog & de Meuron sechs Gebäude realisiert: das Gipfelrestaurant Chäserrugg mit Bergstation, Stöfeli-Gondel-Bahn mit Tal-, Mittel und Bergstation, der Espel Pavillon und nun der Bahnhof Unterwasser.
Neben der Erneuerung der Infrastruktur wurde auch seit 2011 die Digitalisierung mit der Einführung von Sambesi vorangetrieben, um ressourcenschonend zu arbeiten und das Unternehmen hat sich ISO zertifizieren lassen (9001 und 14001).
Weiter ist die TBB an einem Vorprojekt für einen multifunktionalen Wasserspeicher, wobei auch die Nachhaltigkeit und die natürlichen Gegebenheiten eine grosse Rolle spielen. Im Zusammenhang mit dem See wurde eine Studie mit der ETH Zürich umgesetzt, welche nun öffentlich ist und den Mitgliedern von Seilbahnen Schweiz (SBS) neu zur Verfügung steht.
Nachhaltigkeit ist sowohl für SBS als auch für die gesamte Tourismusbranche ein zentrales Thema. Welche Tipps können Sie unseren Mitgliedern im Zusammenhang mit sanftem, rücksichtsvollem Tourismus geben?
So unterschiedliche wie die verschiedenen Gebiete und Unternehmen sind, ist auch die Umsetzung eines sanften, rücksichtsvollen Tourismus individuell. Es ist ein Weg, der beim Verwaltungsrat beginnt und einen weiten Zeithorizont für die umfängliche Entwicklung benötigt. Schlussendlich ist es wichtig, dass der Nachhaltigkeitsgedanke bei jedem Mitarbeitenden ankommt und der Vorteil für den individuellen Menschen gesehen wird – ob Mitarbeitende oder Gäste.
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Technische Beschneiung – Fallstudie Toggenburg